Wie Sie häusliche Isolation und Quarantäne gut überstehen

Psychologische Hilfe in herausfordernden Zeiten

Häusliche Isolation und Quarantäne sind Ausnahmesituationen, welche die meisten Menschen noch nicht erlebt haben.

Diese gesetzten Maßnahmen können auf die Psyche einwirken und für Betroffene sehr belastend sein. Es gibt klare, wissenschaftlich erforschte und bewährte Verhaltensmaßnahmen und mentale Strategien, die es ermöglichen, diese Ausnahmesituation zu meistern.

Der Berufsverband Österreichischer PsychologInnen (BÖP) hat dieses Informationsblatt auf Basis dieser wissenschaftlichen Erkenntnis erstellt, um Sie in Ihrer Selbsthilfe zu unterstützen, die aktuell herausfordernde Zeit gut zu überstehen. Anpassungen für Liechtenstein wurden vorgenommen mit Adressen im Anhang.

🕗 Halten Sie eine Tagesstruktur ein!
Struktur hilft gegen Chaos, gibt Sicherheit und stärkt in Stresssituationen. Unsere Tagesstruktur ist mit einem Ritual vergleichbar: also nicht im Pyjama bleiben, sondern wie immer aufstehen, sich anziehen, die üblichen Essens-, Schlafens-, Arbeits- oder Lernzeiten einhalten. Passen Sie Ihre Tagesstruktur an die aktuelle Situation an.

⌛ Planen Sie Ihren Tag möglichst genau!
Geplantes Handeln beugt Kontrollverlust und Hilflosigkeit vor. Durch geplantes Handeln hat man das Gefühl, einer Situation nicht hilflos ausgeliefert zu sein, sondern diese aktiv zu gestalten.

❕ Konsumieren Sie Medien bewusst und gezielt!
Fakten helfen gegen überschwemmende Gefühle. Seriöse und klare Informationen geben Orientierung und Sicherheit. Vermeiden Sie aber ununterbrochenen Medienkonsum.

😵 Besinnen Sie sich auf Ihre Stärken!
Ressourcen helfen, Krisensituationen durchzustehen. Innere Ressourcen sind alles, was Sie an positiven Erfahrungen in Ihrem Leben gemacht haben, alle Probleme die Sie schon überwunden und gelöst haben, Ihre Stärken und Talente, alles, was an Fähigkeiten, Neigungen etc. vorhanden ist. Ressourcen sind Kraftquellen. Aktivieren und nutzen Sie diese.

🚴 Bewegen Sie sich!
Bewegung bewirkt Wunder im Kopf und wirkt sich, wissenschaftlich nachgewiesen, positiv auf unsere Psyche aus. Sport ist auch auf engem Raum möglich: Videos im Internet liefern Anregungen und Trainingsprogramme. Jeder Muskelkater ist jetzt ein Erfolg!

☏ Pflegen Sie Ihre sozialen Kontakte über Video-Telefonie!
Verbundenheit mit der Familie oder dem Freundeskreis gibt Halt. Nutzen Sie dazu das Telefon und Videochats. „Was hat dich heute gefreut?“

1. Massnahmen gegen Ängste und grosse Sorgen

In außergewöhnlichen Zeiten kann es zu neuen Belastungen und ungewohnten Emotionen kommen. Es braucht Zeit, sich an diese neuen Umstände und Herausforderungen zu gewöhnen.

Beschränken Sie Ihren Medienkonsum!
Gestalten Sie den Medienkonsum im Bezug auf COVID-19 bewusst und limitieren Sie diesen. Immer wieder mit bestimmten Bildern und Schilderungen konfrontiert zu werden, auch von seriösen Medien vermittelt, ist nicht hilfreich sondern belastend.

Halten Sie sich von Panikmachern fern!
Setzen Sie Grenzen und verzichten Sie darauf, die massenweise kursierenden SMS, E-Mails, Videos, Whatsapp - Nachrichten und Meldungen auf sozialen Medien zu COVID-19 zu lesen.

Fokussieren Sie auf Positives!
Der Fokus auf positive Inhalte beruhigt und stabilisiert. Sprechen Sie mit Bezugspersonen und achten Sie auf positive Gesprächsinhalte.

Nehmen Sie Ihre Gefühle wahr!
Wir alle haben unterschiedlichste Gefühle in dieser ungewohnten Situation, z.B. Verwirrung, Angst oder Stress. Diese Gefühle sind absolut verständlich, aber bei einem Zuviel wird man von ihnen überschwemmt. Nehmen Sie sich Zeit, um wahrzunehmen und auszudrücken, was Sie fühlen. Manche Menschen schreiben ihre Gefühle gerne nieder oder werden kreativ (z.B. malen, musizieren oder meditieren).

Sprechen Sie über Ihre Gefühle!
Wenn Sie das Bedürfnis verspüren, mit jemandem über Ihre Gefühle zu sprechen, dann wenden Sie sich an eine hilfreiche Bezugsperson. Sollte diese im näheren Umfeld nicht vorhanden sein, holen Sie sich professionelle Hilfe, z.B. bei einer Helpline – siehe Anhang oder einem/einer klinische/n PsychologIn, welche telefonische Hilfe (z.B. über Skype)anbietet.

Begrenzen Sie das Grübeln!
Grübeln ist eine der vielen Strategien im Umgang mit Stresssituationen. Ein Zuviel ist jedoch kontraproduktiv, da es zusätzlichen Stress verursacht. Überlegen Sie sich daher schon im Vorhinein Tätigkeiten, die Sie ausführen können, sollten Sie ins Grübeln verfallen. Machen Sie etwas ganz anderes, das Ihnen gut tut. Manche Menschen backen, lesen oder schreiben beispielsweise gerne.

Führen Sie einfache Entspannungsübungen durch!
Angst und Entspannung kann nicht gleichzeitig passieren. Daher machen Sie Entspannungsübungen, diese reduzieren Ängste. Auch im Internet finden Sie Anleitungen für Entspannungsübungen.

Denken Sie daran, die Situation wird vorübergehen!
Es ist es wichtig zu verstehen, dass der COVID-19-Ausbruch unweigerlich vorübergehen wird. Nutzen Sie einfache Möglichkeiten, um Ihr Erkrankungsrisiko zu vermindern, z.B. durch regelmäßiges Händewaschen und Vermeiden von engem zwischenmenschlichem Kontakt. Planen Sie Aktivitäten, die Sie nach dem Überstehen der Situation ausführen möchten

2. Massnahmen im Umgang mit Kindern und Jugendlichen

Isolation ist eine Belastung. Das oberste Ziel in der Isolation ist daher, diese Zeit möglichst stressfrei zu bewältigen. Die Isolation ist nicht dazu da, die Familie besser zu machen. Die Erziehung der Kinder oder die Konfliktbewältigung mit dem Partner sollen in dieser Zeit nicht im Fokus stehen.

  • Halten Sie die gewohnte Tagesstruktur ein.
  • Planen Sie klare Lern- und Freizeiten.
  • Definieren Sie klar abgegrenzte Stunden, in denen sich jede/r alleine beschäftigt.
  • Machen Sie gemeinsame Aktivitäten.
  • Ermöglichen Sie Rückzugsmöglichkeiten, um Konflikte zu verhindern bzw. zu reduzieren.
  • Ermöglichen Sie Ihrem Kind körperliche Betätigung im Rahmen der aktuellen Möglichkeiten.
  • Erarbeiten Sie gemeinsam Regeln, wie die gewonnene Zeit bestmöglich genützt werden kann.
  • Limitieren Sie mit dem Kind gemeinsam Zeiten für Fernsehen, Mobiltelefon oder Computer.
  • Erklären Sie Ihrem Kind in altersgerechten Worten die aktuelle Situation.
  • Akzeptieren Sie, wenn Ihr Kind anhänglicher ist als sonst und kommen Sie diesem Bedürfnis Ihres Kindes nach. Es braucht gerade jetzt Sicherheit und Geborgenheit.
  • Verzichten Sie auf große Erziehungsmaßnahmen und sehen Sie möglichst von Strafen ab. Versuchen Sie ihr Kind durch Lob positiv zu verstärken und zu erwünschtem Verhalten zu motivieren.

3. Massnahmen gegen das Auftreten von Konflikten

Auf engen räumlichen Verhältnissen entsteht sogenannter „Dichtestress“. Auch durch die ungewohnt viele gemeinsame Zeit können Konflikte in der Partnerschaft oder im Familienleben entstehen. All dies kann sich in Streit bis hin zu Gewalthandlungen entladen.

  • Definieren Sie klar abgegrenzte Stunden, die jede/r für sich allein verbringt.
  • Ermöglichen Sie allen Familienmitgliedern Rückzugsmöglichkeiten.
  • Sprechen Sie Ärger an, noch bevor die Situation eskaliert.
  • Machen Sie alleine einen Spaziergang um den Häuserblock oder durch den Wald.
  • Machen Sie einen täglichen Familien-Mini-Krisenstab oder -Konferenz: Wie geht’s jedem/r Einzelnen, wer braucht was, welche Ideen und Wünsche haben die Einzelnen?
  • Seien Sie nachsichtiger als sonst, sich selbst und den anderen gegenüber! Es ist durchaus eine Herausforderung für alle Familien.
  • Holen Sie sich im Bedarfsfall professionelle Hilfe bei den Anlaufstellen im Anhang, oder direkt bei uns!

4. Massnahmen gegen Langeweile

Es kann sein, dass Sie plötzlich ungewöhnlich viel Zeit haben, da Sie möglicherweise nicht zur Arbeit gehen oder gewohnten Freizeitbeschäftigungen nachgehen können. Wichtig ist, dass Sie trotzdem eine Tagesstruktur schaffen und sich Ziele setzen, die sie erreichen können! Gerne können Sie sich mit uns in Verbindung setzen.

  • Nehmen Sie sich täglich fixe Arbeiten vor.
  • Starten Sie jetzt aufgeschobene Projekte, auch kleine Arbeiten können jetzt erledigt werden.
  • Planen Sie ein Highlight pro Tag, auf das Sie sich freuen können.
  • Bleiben Sie in Kontakt mit Menschen, die Ihnen wichtig sind. Tauschen Sie sich über positive Inhalte aus und planen Sie gemeinsame Aktivitäten für die Zeit nach der Quarantäne.

5. Massnahmen gegen Gewalt

Räumliche Enge, fehlende Rückzugsmöglichkeiten, der Mangel an Intimität kann zu Aggression und Gewalt führen. Steuern Sie einer Eskalation der Situation aktiv und bewusst entgegen. Folgende Möglichkeiten dazu haben Sie.

  • Erkennen und benennen Sie Gewalt. Gewalt hat viele Formen: Schlagen, Anschreien, Abwerten, längeres Ignorieren… Seien Sie sich selbst gegenüber ehrlich und reagieren Sie wenn Sie merken, dass Sie selbst beginnen vollkommen überfordert und in der Folge gewalttätig zu werden.
     
  • Telefonieren Sie zur eigenen Entlastung! Telefonieren Sie mit einem Freund/einer Freundin und sei es nur, um mal wieder mit jemand anderem zu sprechen. Wenn möglich, gehen Sie in ein anderes Zimmer. Atmen Sie tief durch. Wenn das nicht reicht, wenden Sie sich an Helplines; Weitere Informationen finden Sie im Anhang.
     
  • Leben Sie Gewalt nicht aus! Negative Emotionen, Anspannung und Aggressionen sind in Ausnahmesituationen normal. Es ist nicht schlimm, jemandem gegenüber aggressive Gefühle zu haben, gefährlich wird es erst, wenn man sie auslebt.
     
  • Wenn Gewalt passiert: Reden Sie! Wenn Sie bemerken, dass andere Erwachsene zuhause gewalttätig werden – gerade gegen Kinder oder Jugendliche – reden Sie mit ihnen. Vielleicht sind Sie in dieser Situation der oder die einzige, der den Schutz des Kindes jetzt herstellen kann. Lassen Sie sich dabei unterstützen: von der Telefonberatung, von Rat auf Draht oder vom psychosozialen Dienst.
     
  • Holen Sie sich Hilfe, wenn Sie von Gewalt betroffen sind! Dasselbe gilt natürlich wenn Sie selbst von Gewalt betroffen sind: Holen Sie sich Hilfe. Hier ist wichtig, dass Sie nicht allein bleiben. Sie sind nicht allein, auch wenn es gerade in einer Isolationssituation so erscheint. Holen Sie Hilfe: Bei Freunden, Beratungseinrichtungen, Telefonberatungen bei Opferhilfe, Gewaltschutzzentren, Gewaltschutz bei massiver Gewalt auch bei Polizei oder Kinder- und Jugendhilfe.
     
  • Und vor allem: holen Sie sich rechtzeitig Hilfe! Warten Sie nicht, bis es zu spät ist: die vorangestellten Tipps gegen Langeweile, gegen Ängste und Sorgen vor allem die Tipps gegen Konflikte helfen, mit den unangenehmen Gefühlen umzugehen, die in angespannten, oft beengten Situationen entstehen, bevor diese sich in Gewalt entladen.

6. Folgende öffentliche Adressen stehen Ihnen in Liechtenstein zur Verfügung

Die Dargebotene Hand
T 143 / www.143.ch

147.ch (für Kinder und Jugendliche)
T 147 / www.147.ch

Ministerium für Gesellschaft
www.regierung.li / Coronavirus, aktuelle Infos

Landesspital / Notfälle
T +423 235 44 11 - ganze Woche; 24 Std.

Opferhilfestelle Liechtenstein
T +423 236 76 96 Mo- Do-vormittags/ www.ohs.llv.li

Frauenhaus Liechtenstein
T +423 380 02 03 - ganze Woche; 24 Std.

gewaltig – Gewaltberatung
T +423 791 68 66 / www.gewaltig.li

Verein für Männerfragen
T +423 794 94 00 / www.maennerfragen.li

Kriseninterventionsteam
T +423 230 05 06 / ganze Woche; 24 Std.

infra
T +423 232 08 80 / www.infra.li

HOTLINE für Tests
T +423 235 45 32 - ganze Woche; 24 Std.


Manuela Klotz-Zechmann · Dezember 2020